In dem Moment, wo ein Zweibeiner dazu ansetzt, sich nur auf einer Körperseite abzustützen, also bei der
Verlagerung des Körpergewichts auf ein Bein, wird ein Reflex ausgelöst, wodurch alle Muskeln des Systems
in einer solchen Weise gespannt werden, dass sie sowohl abstützen als auch die physiologisch richtige
Beweglichkeit ermöglichen. Dabei wirken sie wie folgt:
Als erstes kontrahieren die tiefliegenden Muskeln – siehe Abbildung 7. Diesen folgen (gleichzeitig) alle
Muskeln vom Becken an abwärts, also der Große Gesäßmuskel, die kleinen Gesäßmuskeln,
der Tensor, der Quadrizeps, die ischiocruralen Muskeln, die Adduktoren, die Waden– und Schienbeinmuskeln, die
Fußmuskeln sowie die Rückenmuskeln. Dabei wirken alle Muskeln durch Zug.
Das Interessante dabei ist folgendes Phänomen, dass diese Zugwirkung alle Komponenten des
Becken–Bein–Stütz–Systems zueinander zieht und es damit sozusagen zusammenzurrt, wodurch aus
diesem Gesamtsystem eine im Hüftgelenk minimal bewegliche Säule entsteht und
der Hüftkopf während des gesamten Bewegungsbogens physiologisch richtig in die Hüftpfanne gedrückt
wird. Das geschieht vermutlich im einzelnen wie folgt:
Die Kontraktion der tiefliegenden Muskeln bewirkt eine Volumenverschiebung von deren Muskelmasse. Da diese
tiefliegenden Muskeln von allen Seiten von festen Körpern (Knochen, Bändern, Muskeln) umgeben sind, übt
diese Muskelmasse auf jene Körper einen Druck aus, dem jene nicht ausweichen können, da sie direkt daneben
liegen und alle miteinander verbunden sind. Da jede Kraft eine Gegenkraft erfordert – actio = reactio –
müssten theoretisch entsprechende Gegenkräfte in den umgebenden Knochen, Bändern und Muskeln vorhanden
sein oder durch die Kontraktionen der tiefliegenden Muskeln ausgelöst werden.
Es ist tatsächlich so: die knöchernen Bestandteile des Systems widerstehen auf Grund ihrer
funktionell angepassten Festigkeit (vgl. Roux 1895, Kummer 1995) dem durch die tiefliegenden Muskeln auf sie
ausgeübten Druck, die Bänder ebenfalls. Bei den umliegenden durch die tiefliegenden Muskeln
„bedrückten“ Muskeln löst dieser Druck einen Spannungsimpuls und damit die dort erforderliche
Gegenkraft aus. Diese Spannungsimpulse werden bis zu den Zehenspitzen fortgesetzt, so dass bis dorthin Kräfte
und Gegenkräfte wirken.
Beim Bewegungsablauf ist das Zusammenwirken aller Komponenten vermutlich wie folgt:
- Wenn der Körper sich gegen die Schwerkraft zum Oberen Totpunkt hin bewegt, wird innerhalb dieses Systems
die Spannung der Muskeln zu– und damit die Beweglichkeit im Gelenk abnehmen, um gemeinsam das Gesamtsystem
Stützbein und Becken mit Teilkörper zum Oberen Totpunkt hin zu bringen und darüber hinweg zu schwingen.
- In dem Moment, in dem der Obere Totpunkt erreicht ist, wird die Spannung der Muskeln im Stützsystem
Becken – Bein so hoch sein, dass damit auch keine Bewegung stattfinden kann, da eine Umkehr der Bewegungsrichtung
mit dem Körper in Richtung Erdmittelpunkt erfolgen muss.
- Anschließend nimmt die Beweglichkeit innerhalb des Systems bis zum Abheben des Stützbeines vom Boden
wieder zu. Sie ist am höchsten, wenn durch das entgegengesetzte Stützbein der Obere Totpunkt erreicht wird.
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